Mandantenanfrage:
Wir beteiligen uns an öffentlichen Ausschreibungen und es ist uns aufgefallen, dass Bieter mehrere Hauptangebote abgeben. Für uns stellt sich die Frage, inwieweit dies zulässig ist, auch wenn sich diese Hauptangebote nur im Preis unterscheiden.
Expertenantwort:
Zunächst ist historisch darauf zu verweisen, dass mehrere Hauptangebote eines Bieters in der VOB/B gar nicht vorgesehen waren. Die Rechtsprechung hat sich über viele Jahre dazu durchgerungen, dass mehrere Hauptangebote zulässig sind, wenn der Auftraggeber parallele Angebote zugelassen hat und diese sich in technischer Sicht unterscheiden. Bei nur preislicher Unterscheidung lag ein sogenanntes Doppelangebot war, welches aus Sicht der Rechtsprechung unzulässig war.
Im Jahre 2019 wurde der § 8 Abs. 2 Nr. 4 VOB/A neu eingefügt. Gemäß dem Wortlaut sind nunmehr mehrere Hauptangebote eines Bieters möglich, wenn der Auftraggeber dies nicht in der Ausschreibung ausschließt. Es stellte sich die Frage, ob dies grenzenlos gilt, also auch für Hauptangebote, die sich nur preislich unterscheiden.
Diese Frage musste sich die Sächsische Vergabekammer im August 2021 stellen und beantwortete sie dahingehend, dass nunmehr grundsätzlich immer mehrere Hauptangebote eines Bieters zulässig sind, auch wenn sich diese lediglich im Preis unterscheiden. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung zur früheren Rechtslage sah die Vergabekammer dann eine Unzulässigkeit mehrerer Hauptangebote, wenn hinreichende belastbare Anhaltspunkte für ein missbräuchliches und unredliches Verhalten des Bieters vorliegen. Im zu entscheidenden Fall sah dies die Kammer als gegeben, da dieser Bieter mit seinen beiden Hauptangeboten auf Platz 1 und 2 der Submission landete und beide Angebote an identischen Unzulänglichkeiten litten. Der Auftraggeber forderte für beide Hauptangebote die gleichen Unterlagen nach und der Bieter lieferte sie nur für das zweitplazierte Hauptangebot. Das Hauptangebot auf Platz 1 musste daher wegen fehlender Unterlagen ausgeschlossen werden. Die Kammer sah hierin ein Verhalten des Bieters, welches wettbewerbsschädigend ist.
Handlungsempfehlung:
Folgt man der Auffassung der Sächsischen Vergabekammer dann kann die Einreichung technisch identischer Hauptangebote mit einer preislichen Abstufung, z. B. durch Gewährung eines Nachlasses, empfohlen werden. Wann dann die Grenze zum wettbewerbswidrigen Verhalten überschritten wird, ist nicht ganz klar und muss im Einzelfall bewertet werden. Liefert man zwei vollständige Hauptangebote, die sich nur im Preis unterscheiden und die beide ohne Nachlieferung zuschlagsfähig sind, stellt sich die Frage nach dem Sinn des preislich teureren Hauptangebotes. Es gibt ja von Anfang an ein technisch identisches Angebot mit einem besseren Preis. Lässt man bei einem oder beiden Hauptangeboten Lücken, so dass es zu Nachforderungen Seitens des Auftraggebers kommen muss, kann ganz schnell die Grenze zur Wettbewerbswidrigkeit überschritten werden.
Möglicherweise bedeutet die grundsätzliche Zulassung von mehreren Hauptangeboten, die sich nur im Preis unterscheiden, eine grundlegende Veränderung des Wettbewerbes. Dies muss dann aber auch zu Veränderungen in der Bewertung dessen, was wettbewerbswidrig ist, führen. Ob dies tatsächlich gewollt ist?