Mandantenfrage:
Wir sind ein mittelständisches Unternehmen mit dem Schwerpunkt in der Immobilien- und Grundstücksentwicklung, insbesondere dem Erwerb von Bestandsimmobilien und deren Entwicklung, insbesondere der Sanierung.
Im Rahmen unserer Tätigkeit – u.a. im Freistaat Bayern – ist unser wirtschaftliches Hauptaugenmerk die optimale Nutzung der durch das öffentliche Baurecht, insbesondere die BayBO, gegebenen Rahmenbedingungen zur Genehmigung von Neubauten, Instandhaltungs- und Instandsetzungsarbeiten sowie damit einhergehenden Nutzungsänderungen.
Diskussionen entstehen dabei oftmals mit den Bauaufsichtsbehörden im Rahmen der Unterscheidung von verfahrensfreien Instandhaltungs- und genehmigungspflichtigen Instandsetzungsarbeiten – welche in der Regel nicht ohne eine zeitweilige Veränderung der baulichen Anlage durchgeführt werden können – im Rahmen der Instandsetzung des Tragsystems von Tiefgaragen.
Expertenantwort:
Grundsätzlich sind im Rahmen der Projektentwicklung, Planung und Wirtschaftlichkeitsbetrachtung eines Projektes zunächst einmal die Anforderungen des öffentlichen Baurechts zu begutachten, welches den juristischen Rahmen für den Umfang und die Art und Weise der Bebauung neben den gewachsenen Anforderungen des Baugrundes bzw. der Ausführung des Bestandgebäudes gibt und bei Bestandsimmobilien auch das Risiko von Veränderungen an technischen Anforderungen während der Bauzeit bestimmt. Entsprechend sind v.a. die Gesetzgebungen der Länder in Zusammenhang mit der Entwicklung der entsprechenden Bauordnungen zu beachten.
In Bayern wurden und werden bspw. durch das Erste und Zweite Modernisierungsgesetz Möglichkeiten geschaffen sowohl bei Bestandsimmobilien und Neubauten der Konkurrenz durch Kenntnisse, um die aktuelle Rechtslage und einem veränderten Blick für die Entwicklungsmöglichkeiten von Gebäuden einen Schritt voraus zu sein.
Im Hinblick auf die Sanierungsarbeiten in Zusammenhang mit Tiefgaragen war nach ständiger Rechtsprechung (BayVGH, Beschl. v. 20.1.2009 – 15 CS 08.1638; Beschl. v. 15.4.2019 – 1 CS 19.150; Beschl. v. 28.6.2021 – 1 ZB 19.2067) zwischen einer verfahrensfreien Instandhaltung nach Art. 57 Abs. 6 BayBO aF und einer die Genehmigungsfrage neu aufwerfenden Änderungen einer baulichen Anlage nach Art und Umfang der baulichen Erneuerungen abzugrenzenden Instandsetzung zu unterscheiden.
Instandhaltungsarbeiten sind dabei bauliche Maßnahmen, die der Konservierung der baulichen Substanz einer baulichen Anlage und deren Gebrauchstauglichkeit dienen, ohne deren Identität zu verändern, wohingegen Instandsetzungsarbeiten mit einer zeitweiligen Veränderung – und dem entsprechenden Identitätsverlust nach § 29 Abs. 1 BauGB oder Art. 55 Abs. 1 BayBO – der baulichen Anlage und deren Wiederherstellung im ursprünglichen Zustand – nach Abschluss der Arbeiten – einhergehen (entspr. VGH München, Beschl. v. 07.03.2022 – 9 CS 21.3274).
Ein solcher Identitätsverlust liegt vor, wenn die notwendigen Instandsetzungsarbeiten den Aufwand für einen Neubau erreichen, wenn die Bausubstanz ausgetauscht oder das Bauvolumen wesentlich erweitert wird oder wenn die Baumaßnahmen sonst praktisch einer Neuerrichtung gleichkommen. Demnach konnten bauliche Maßnahmen insbesondere an der Tiefgarage, bei welchen das Erscheinungsbild des Gebäudes unangetastet blieb und das Bauvolumen nicht erweitert wurde, das Merkmal einer Änderung aufweisen (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.4.2000 – 4 C 5.99 – NVwZ 2000, 1048; Beschl. v. 10.10.2005 – 4 B 60.05 – BauR 2006, 481).
Dieser Diskussion und den damit einhergehenden Problemen, dass bei der Notwendigkeit einer Genehmigungspflichtigkeit der Instandsetzungsarbeiten – welche optisch von außerhalb des Gebäudes meist nicht oder nur unwesentlich ersichtlich sind – auch geänderte Anforderungen an Statik und Brandschutz erfüllt werden müssen, sich diese mithin aufgrund der langen Genehmigungszeiten während der Bauausführung nochmals verändern, hat der Gesetzgeber durch Einführung des neuen Art. 57 Abs. 3 Nr. 3 BayBO ein Ende gesetzt.
Denn die Instandsetzung des Tragsystems von Tiefgaragen fällt nun ebenfalls unter die Verfahrensfreiheit. Trotz dieser Freiheit sind bautechnische Nachweise erforderlich, um die während der Bauzeit vorgenommenen Veränderungen zu dokumentieren.
In der Regel genügt der Nachweis der Standsicherheit, einschließlich der Feuerwiderstandsfähigkeit tragender Bauteile. Ein neuer Brandschutznachweis ist nur erforderlich, wenn die Instandsetzung die Grundlage des bisherigen Nachweises entzieht. Da Art. 57 Abs. 3 Satz 2 BayBO dabei nicht auf Art. 62b Abs. 2 BayBO verweist, muss ein neuer Brandschutznachweis nicht geprüft oder bescheinigt werden.
Für den Standsicherheitsnachweis gilt das Vier-Augen-Prinzip gemäß Art. 62a Abs. 2 Satz 1 und 3 BayBO. Ein prüfpflichtiger Standsicherheitsnachweis muss von einem vom Bauherrn beauftragten Prüfsachverständigen bescheinigt werden, ohne Prüfung durch die Bauaufsichtsbehörde oder einen von ihr beauftragten Prüfingenieur oder Prüfamt.
Maßnahmen, die bereits unter die spezifischen Verfahrensfreiheitstatbestände des Abs. 1 fallen, wie die Änderung tragender Bauteile nach Abs. 1 Nr. 11 Buchst. b), bleiben unberührt und erfordern weiterhin keine bautechnischen Nachweise.
Handlungsempfehlung:
Die neue Regelung ist besonders vorteilhaft für größere Sanierungsmaßnahmen, die bisher aufgrund statischer Eingriffe umfassende Genehmigungsverfahren durchlaufen mussten. Ein typisches Beispiel sind Tiefgaragensanierungen bei Chloridschäden, bei denen langwierige Genehmigungsverfahren und komplexe Rechtsfragen die rasche Durchführung behindert haben. Die Neuregelung stellt daher eine echte Erleichterung dar und ermöglicht eine schnellere und effizientere Umsetzung solcher Maßnahmen.
In dem Wissen um diese Möglichkeit und auch die Tatsache, dass ein Antrag auf Baugenehmigung bei verfahrensfreien Bauvorhaben kostenpflichtig – wohl nach einer mehr oder weniger zeitintensiven Vorprüfung durch die Bauordnungsbehörde – abgelehnt werden muss, besteht für den planenden und kalkulierenden Bauherrn bzw. Immobilienentwickler die Möglichkeit durch eine Vorprüfung mittels technischen Fachpersonals die Voraussetzungen einer möglichst schnellen und effizienten, sowie wirtschaftlichen Umsetzung zu schaffen und nicht aus Unwissen in der Vorbereitung und der teilweisen Durchführung eines oftmals äußerst umfangreichen Genehmigungsverfahrens gefangen zu sein.
Allerdings geht damit auch eine gesteigerte Verantwortung der am Bau Beteiligten und auch eine entsprechende Intensivierung der Haftungsregime einher, welche durch das jeweilige Fachpersonal – insbesondere im Hinblick auf eine umfangreiche und präzise Aufklärung des Bauherrn – gewahrt sein wollen, dieses jedoch vor neue Herausforderungen stellen.