1. Einleitung
Stellen Sie sich vor, Ihr Nachbar möchte auf seinem Grundstück – das direkt neben dem Ihren liegt – eine bauliche Anlage errichten, die Sie gerne verhindern würden. Er bekommt auch die erforderliche Baugenehmigung. Wie reagieren Sie darauf, dass Ihr Nachbar nun mit den Bauarbeiten beginnt?
Anm. zu OVG Sachsen, Urteil vom 09.03.2017 – 1 A 331/16 = IBR 2017, 401
2. Rechtliche Erwägungen
Zu langes „Abwarten“ ist keinesfalls die richtige Alternative.
Man kann es nicht oft genug wiederholen: Wird Ihrem Nachbarn eine Baugenehmigung erteilt, können Sie nicht „endlos“ mit der Erhebung eines Widerspruchs gegen diese Genehmigung warten – auch, wenn Ihnen gegenüber die Genehmigung ja nicht „bekanntgegeben“ wurde und Widerspruchsfristen an sich erst ab „Bekanntgabe“ eines Verwaltungsakts zu laufen beginnen.
Zwar wird „Ihre“ an sich geltende Widerspruchsfrist von einem Monat (§ 70 Abs. 1 VwGO) mangels „Bekanntgabe“ gar nicht erst in Gang gesetzt – ein Verlust des Widerspruchs- und Klagerechts durch Zeitablauf tritt aber auch dann ein, wenn Sie Ihren Widerspruch nicht „wenigstens“ innerhalb eines Jahres erheben.
Diese „Jahresfrist“ wird ab dem Zeitpunkt in Lauf gesetzt, in dem Sie Kenntnis von der Ihrem Nachbarn erteilten Baugenehmigung hätten haben müssen, weil sich das Vorliegen der Baugenehmigung aufdrängen musste und es Ihnen möglich und zumutbar war, sich hierüber etwa durch Nachfrage beim Bauherrn oder der Baubehörde Gewissheit zu verschaffen.
Die aktuelle Entscheidung des OVG Sachsen vom 09.03.2017 steht ihrerseits auf gesicherten Füßen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.01.1974 – IV C 2.72 = NJW 1974, 1260 = BVerwGE 44, 294).
Sehen Sie sich als Nachbar durch eine bauliche Maßnahme auf dem Grundstück nebenan in einem drittschützenden Nachbarrecht (Klassiker: Abstandsflächenrechte) verletzt, ist es ratsam, unmittelbar nach Kenntniserlangung von der Genehmigung und ggf. nach der Einholung anwaltlichen Rats Widerspruch gegen die Ihrem Nachbarn erteilte Genehmigung zu erheben.
Da dieser Widerspruch nicht dazu führen wird, dass unmittelbar ein „Baustopp“ von der Behörde verfügt wird (Grund: § 212a BauGB), ist parallel über einen Antrag nach §§ 80a, 80 Abs. 5 VwGO („Eilrechtsschutz“) zum Verwaltungsgericht nachzudenken, mit dem ein Baustopp ggf. ersteinmal gerichtlich erzwungen werden kann.
Hinweis für Bauherren: Soweit Ihrem Nachbarn die Genehmigung nicht bekanntgegeben wurde, kommt es für den Beginn der „Jahresfrist“ auf den Zeitpunkt an, in dem sich das Vorliegen Ihrer Baugenehmigung Ihrem Nachbarn „aufdrängen musste“. Wenn ein Baugrundstück jahrelang nach Erteilung der Genehmigung zunächst nicht bebaut wird, und eine Bautätigkeit erst „kurz vor Ablauf“ der Genehmigung – ggf. also nach Jahren – entfaltet wird („Bauschild“ / „Bauzaun“ / „Bagger“), dann hat der Nachbar eben erst ab diesem Zeitpunkt überhaupt die Möglichkeit, von der ggf. erteilten Genehmigung Kenntnis zu erlangen. Erst ab jenem Zeitpunkt dürfte die Jahresfrist dann zu laufen beginnen!
3. Bedeutung
Die Entscheidung verdeutlicht, dass der Nachbar, der sich gegen die Bebauung „nebenan“ wehren will, grundsätzlich bis zu einem Jahr ab Bekanntwerden Zeit mit der Erhebung des Widerspruchs hat, wenn ihm die Baugenehmigung nicht „bekanntgegeben“ wurde. Auch diese Frist beginnt aber erst zu laufen, wenn sich das Vorliegen der Baugenehmigung dem Nachbarn „aufdrängen“ musste. Dieser Zeitpunkt kann u.U. noch Jahre nach Erteilung der eigentlichen Genehmigung liegen, wenn die Baugenehmigung eben jahrelang nicht ausgenutzt wird.
Für Bauherren – gerade bei größeren Bauvorhaben – stellt die Entscheidung des OVG Sachsen die Wichtigkeit heraus, bei der Behörde dafür zu sorgen, dass die erteilte Genehmigung allen Eigentümern der (unmittelbaren) Nachbargrundstücke auch bekanntgegeben wird (regelmäßig durch Zustellung). Auf diese Weise ist erreichbar, dass dort die einmonatigen Widerspruchsfristen zu laufen beginnen.
Geht der Bauherr nicht in dieser Weise vor, riskiert er etwa, dass noch nach Monaten einer der Nachbarn Widerspruch gegen die erteilte Baugenehmigung erhebt – und die bauliche Maßnahme zu diesem Zeitpunkt schon derart weit fortgeschritten ist, dass jede Verzögerung schmerzhafte finanzielle Folgen haben kann.
Klar ist aber auch:
Lässt der Bauherr die ihm erteilte Baugenehmigung den Eigentümern der anliegenden Nachbargrundstücke bekanntgeben, weckt er dort unter Umständen „schlafende Hunde“.
Welches Risiko indes schwerer wiegt,
- entweder das „Damoklesschwert“, dass nach Erteilung der Genehmigung noch für lange Zeit Streitigkeiten drohen, wenn den Nachbarn die Genehmigung nicht von Behörde „bekanntgegeben“ wird,
- oder umgekehrt das „Stoßen“ der Nachbarn auf die bevorstehende Baumaßnahme eben durch die Bekanntgabe der Genehmigung direkt zu Nachbarwidersprüchen führt,
ist zum einen eine wirtschaftliche Frage. Zum anderen orientiert sich ihre Beantwortung auch an der Klärung der Vorfrage, ob den Nachbarn eine Verletzung materieller, drittschützender Nachbarrechte durch die beabsichtigten Baumaßnahmen droht. Nur, wenn dies der Fall wäre, könnten Nachbarn überhaupt mit Aussicht auf Erfolg im Wege des Widerspruchs und ggf. der Anfechtungsklage gegen die erteilte Genehmigung vorgehen.
Im Grundsatz lässt sich wohl sagen, dass es für Bauherren, die an schneller Rechtsklarheit interessiert sind, in jedem Fall empfehlenswert ist, die Behörde dazu zu veranlassen, die erteilte Genehmigung auch den jeweiligen Eigentümern der Nachbargrundstücke zuzustellen und diesen damit „bekanntzugeben“.
Übrigens: Die einfache Übergabe der Baugenehmigung durch den Bauherren selbst – in Kopie „über den Gartenzaun“ oder als Postwurf in die nachbarlichen Briefkästen – reicht nicht aus, um die einmonatige Widerspruchsfrist beim Nachbarn in Gang zu setzen: Ein Verwaltungsakt kann nur von der Behörde selbst „bekanntgegeben“ werden.
Dr. Carsten Albers