Zur Feststellung von Mängeln wird häufig ein gerichtliches selbständiges Beweisverfahren eingeleitet. Nach § 485 ZPO kann eine Partei ein solches Verfahren beantragen, wenn der Gegner zustimmt oder zu besorgen ist, dass das Beweismittel verloren geht oder seine Benutzung erschwert wird. Die Beweiserhebung erfolgt in der Regel durch einen Sachverständigen.
Obwohl selbständige Beweisverfahren zügig ablaufen sollen, ist zwischenzeitlich eine Tendenz festzustellen, dass diese Verfahren länger dauern als die Hauptsacheverfahren.
Hat der Sachverständige sein Gutachten vorgelegt, führt dies in der Regel zu wiederholten Ergänzungsfragen und in der Folge meist zu mehreren Ergänzungsgutachten. Ist dann eine oder sogar beide Parteien mit den Feststellungen des Sachverständigen immer noch nicht einverstanden, werden häufig auch private Gegengutachten vorgelegt. Mit diesen Gegengutachten wird das Ziel verfolgt, das Gericht davon zu überzeugen, dass ein sog. Obergutachten eingeholt werden muß.
Das OLG Hamm hat mit Beschluß vom 20.11.2009 ausdrücklich unter Hinweis auf die geltende Rechtslage klargestellt, dass die Klärung von Widersprüchen in verschiedenen Gutachten nicht vom Zweck des selbständigen Beweisverfahrens gedeckt ist. Das selbständige Beweisverfahren ist nicht dazu da, die Beweiswürdigung vorweg zu nehmen. Dies kann erst im Hauptsacheverfahren erfolgen. Grundsätzlich besteht zwar die Möglichkeit, schon im selbständigen Beweisverfahren den Sachverständigen mündlich anzuhören. Eine rechtliche Beurteilung findet aber nicht statt. Dass viele Gerichte unter Hinweis auf die abschließenden Feststellungen des selbständigen Beweisverfahrens Angriffe gegen die Gutachten im Hauptsacheverfahren nicht mehr zulassen wollen, ist von der Rechtslage nicht gedeckt.
Erst im Hauptsacheverfahren sind die Parteien gefordert, ihre tatsächlichen und rechtlichen Einwendungen vorzutragen. Die Aufklärung von Widersprüchen in der Begutachtung und die sich daraus ergebenden Folgen sind im Hauptsacheverfahren zu entscheiden. Lassen sich Widersprüche zwischen gerichtlichen Gutachten und vorgelegten Privatgutachten zur Überzeugung des Gerichts nicht aufklären, kann das Hauptsachegericht einen Obergutachter einschalten.
Die Praxis zeigt also, dass mit einem manchmal über Jahre laufenden selbständigen Beweisverfahren eine rechtliche Klärung nicht herbeigeführt wird. Häufig schließt sich ein ebenso langwieriges Hauptsacheverfahren an, so dass der vermeintliche Zeitgewinn durch ein voran geschaltetes selbständiges Beweisverfahren nicht eintritt. Es ist daher jeweils sorgfältig abzuwägen, ob in einem Streitfall tatsächlich die Chance besteht, dass nach Vorliegen eines Gutachtens im selbständigen Beweisverfahren eine Lösung herbeigeführt werden kann, oder aus Gründen des Beweisverlustes eine vorweg genommene Beweiserhebung erfolgen muss. Ist dies wegen der unklaren Rechtslage nicht der Fall, könnte die unmittelbare Einleitung eines Hauptsacheverfahrens, in dem dann die Beweiserhebung erfolgt, möglicherweise einen Kosten- und Zeitgewinn bringen.