Mandantenfrage:
Wir sind ein mittelständiges Bauunternehmen mit dem Schwerpunkt Erd- und Tiefbau. Bei Ausführung unserer Arbeiten werden wir immer wieder mit unvorhergesehenen Problemen wie nicht bekannte Kabel oder Kanäle, altes Mauerwerk, ja sogar Skelettteilen und Bodenkontaminationen bis hin zu Blindgänger-Bomben konfrontiert.
Ein Streitpunkt ist dabei oft, inwieweit wir dieses Risiko, das weder in Baugrundgutachten noch sonst im Vertragstext beschrieben wurde, zu tragen haben. Immer wieder wird uns vorgehalten, dass wir für den Erfolg einzustehen haben und das Risiko unvorhergesehener Erschwernisse von uns zu tragen sei. Ist das so richtig?
Expertenantwort:
Die Frage der Risikotragung im Zusammenhang mit Erd- und (Spezial-)Tiefbau-, aber auch Tunnel-, Pipeline- und Brunnenbauarbeiten, beschäftigt immer wieder – mit wechselndem Ergebnis – die Landgerichte und Oberlandesgerichte. Hier ist festzustellen, dass zur rechtlichen Einordnung von „Baugrund“, der ja letztlich bei allen vorgenannten Arbeiten nicht so angetroffen wird, wie erwartet, oftmals das fehlende geotechnische Verständnis von Gerichten zu Fehlentscheidungen führt. Damit hat der BGH aber längst ein Machtwort gesprochen – das nachzulesen auch für Auftraggeber zu empfehlen ist! Der BGH hat in einem oftmals falsch verstandenen Urteil vom 28.01.2016 Az I ZR 60/14 = NZBau 2016,283) nämlich ganz eindeutige Verantwortungszuweisungen festgeschrieben. Nachfolgend die entscheidenden Sätze mit Randnummern des Urteils:
40]aa) Allerdings ist es grundsätzlich nicht unangemessen, dem Auftraggeber die Verantwortlichkeit für die Bodenbeschaffenheit im Verhältnis zu einem von ihm beauftragten, auf einer Baustelle tätigen Unternehmer aufzuerlegen.
[41](1) In der Rechtsprechung des BGH ist anerkannt, dass der Besteller einer Werkleistung alles ihm Zumutbare und Mögliche zu unternehmen hat, um den Werkunternehmer bei der Erfüllung seiner Vertragspflichten vor Schaden zu bewahren, und zwar auch vor Schäden an seinem Arbeitsgerät (BGH, VersR 1959, 948; VersR 1975, 41 = BeckRS 1974, 30374599)………
[42](2) Im Regelfall wird der Auftraggeber einer Leistung, die an einem Bauwerk zu erbringen ist, Eigentümer oder Besitzer des Grundstücks sein. Er wird aus diesem Grund die örtlichen Gegebenheiten besser kennen als der Auftragnehmer. Dazu zählen nicht erkennbare unterirdische Risiken. Deshalb erscheint es gerechtfertigt, ihm das Risiko der Eignung der Bodenbeschaffenheit für die Ausführung des Auftrags zuzuweisen. Ist der Auftraggeber nicht der Grundstückseigentümer oder der Besitzer, sondern – wie im Streitfall – der für die Baustelle verantwortliche Bauunternehmer oder Abbruchunternehmer, ist diese Risikozuweisung ebenfalls angemessen. Der Unternehmer, der auf Grund eines Auftrags des Eigentümers oder Besitzers tätig wird, kann sich erforderliche Informationen über die Bodenverhältnisse vom Eigentümer oder Besitzer auf Grund des bestehenden Vertragsverhältnisses beschaffen. Deshalb ist es gerechtfertigt, ihm als Besteller einer mit Gefahr verbundenen Arbeit im Verhältnis zu einem Subunternehmer die Verantwortlichkeit für die auf der Baustelle vorhandenen Bodenverhältnisse zuzuweisen (vgl. BGH, VersR 1975, 41).
[43](3) Für eine Verantwortlichkeit des Bestellers von auf einer Baustelle auszuführenden Werkleistungen für den Baugrund spricht die Regelung des § 645 BGB. Wenn es Sache des Bestellers ist, den Stoff für die Herstellung des Werks zu liefern, muss er auch die Verantwortung dafür tragen, dass der Stoff zur Herstellung des Werks tauglich ist und zwar ohne Rücksicht auf ein etwaiges Verschulden. Der sich aus der Beschaffenheit des Stoffs ergebenden Gefahr für das Gelingen des Werks steht der Besteller, wenn er den Stoff zur Verfügung stellen soll, näher als der Unternehmer. Der BGH hat dem Werkunternehmer deshalb unter Heranziehung des in § 645 I BGB zum Ausdruck kommenden Rechtsgedankens einen Anspruch auf Vergütung für von ihm erbrachte Werkleistungen zuerkannt, wenn seine Werkleistung infolge von Umständen untergeht, die in der Person des Bestellers liegen (BGHZ 136, 303 [308] = NJW 1997, 3018 = NJW-RR 1997, 1450 Ls.; Palandt/Sprau, BGB, 75. Aufl., § 645 Rn. 8 f.), auch wenn es an einem Verschulden des Bestellers fehlt. Dabei ist der Begriff des Stoffs iSv § 645 I BGB weit auszulegen. Er umfasst alle Gegenstände, an denen oder mit denen das Werk herzustellen ist. Die für beide Vertragsteile nicht erkennbare Schwierigkeit des Baugrundes wird deshalb nach verbreiteter Ansicht gem. § 645 BGB dem Besteller zugewiesen (Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, 2014, § 645 Rn. 12 mwN).
[44](4) Diese Wertung findet sich auch in § 7 I Nr. 6 VOB/A (Lausen in Heiermann/Zeiss, jurisPK-VergabeR, 4. Aufl., § 7 VOB/A Rn. 69). Danach hat der Auftraggeber die für die Ausführung der Bauleistung wesentlichen Verhältnisse der Baustelle, zu der insbesondere die Bodenverhältnisse gehören, so zu beschreiben, dass der sich um einen Bauauftrag bewerbende Unternehmer ihre Auswirkungen auf die bauliche Anlage und die Bauausführung hinreichend beurteilen kann.
Handlungsempfehlung:
Unter Bezug auf dieses Urteil ist der Auftraggeber- und Auftragnehmerseite zu empfehlen, eine Mediation durch einen erfahrenen Mediator, wie er bei www.baurechtsuche.de zu finden ist, zu versuchen. Sollte dies nicht zum Streitende führen, so ist wegen der Komplexität der Streitfrage in jedem Fall ein Geotechnischer Sachverständiger beizuziehen – und zwar am Besten von Anfang an. Dieser kann Beweise durch Rückstellproben, Fotos, Laboruntersuchungen, Kartierung und seine Erfahrung sichern. Sollte es zum Rechtstreit kommen, wären beide Seiten gut beraten, sich auf ein Schiedsgericht mit einem in Baugrundfragen erfahrenen Schiedsrichtergremium zu einigen. Denn bei den Baukammern bzw. Bausenaten der LG und OLG finden sich nur selten fachkundige Richter(innen) im Hinblick auf die Baugrund-Problematik. Auf einen Nenner gebracht ist „Baugrund = Baustoff“, den denknotwendig immer der Auftraggeber bereitstellt (also „liefert“) und der deshalb nach BGH-Vorgabe seinem Risikobereich unterfällt.