Mandantenfrage:
Gerade in Zeiten schlechter Baukonjunktur und stagnierendem Wohnungsbau versuchen gerade professionelle Auftraggeber wie z.B. Bauträger immer wieder, wie sie es ausdrücken, „Leistungen herauszunehmen“, d. h. also mitzuteilen, dass diese Leistungen nicht mehr von uns ausgeführt werden sollen und natürlich auch nicht abgerechnet werden sollen.
Damit sollen dann Kosten gespart werden und, wie wir vermuten, der Weg frei sein für die Beauftragung billigerer Nachunternehmer für die entsprechende Leistung.
Müssen wir uns so ein Vorgehen gefallen lassen?
Was gilt, wenn wir einem solchen Vorgehen zugestimmt haben bzw. nicht dagegen protestiert haben?
Expertenantwort:
Die einseitige „Herausnahme“ von bereits beauftragten Leistungen aus dem vertraglich vereinbarten Leistungsumfang ist nichts anderes als eine sogenannte freie (Teil –) Kündigung des Bauvertrages.
Im Ergebnis wird es dadurch für den Auftraggeber nicht billiger, sondern teurer.
Im Einzelnen:
Sowohl die VOB/B (§ 8 Abs. 1) als auch das BGB (§ 648) gestatten es dem Auftraggeber, jederzeit einen abgeschlossenen Bauvertrag ganz oder auch teilweise zu kündigen, ohne dass dafür irgendein Grund, z.B. ein Vertragsverstoß des Auftragnehmers, vorliegen muss.
Diese auf den 1. Blick verblüffende Abweichung vom Grundsatz, dass Verträge einzuhalten sind, hat ihren Grund darin, dass auf der einen Seite der Auftraggeber = Besteller nicht gezwungen sein soll, an einer Leistung festzuhalten, an welcher er kein Interesse mehr hat.
Vor allem aber lassen sowohl die VOB/B als auch das Gesetz die sogenannte freie Kündigung zu, weil dadurch dem Auftragnehmer kein Nachteil entsteht:
Er bekommt nämlich bekanntlich trotzdem die Vergütung auch für die nicht erbrachten Leistungen. Er muss sich nur diejenigen Aufwendungen abziehen lassen, die er sich dadurch erspart hat, dass er genau diesen Auftrag nicht mehr (vollständig) ausführen muss.
Und er muss sich die Erlöse aus echten sogenannten „Füllaufträgen“, also von Aufträgen, die den (teilweise) gekündigten Auftrag ersetzen, gegen rechnen lassen.
D. h.: Der Auftragnehmer muss Leistungen bezahlen, die er gar nicht bekommt. Das ist eine klare gesetzgeberische Entscheidung. Das bedeutet eben, dass die freie Kündigung für den Auftraggeber wirtschaftlich nicht vorteilhaft ist, außer es liegen besondere Umstände vor.
Um diese negativen Folgen zu vermeiden, kommen viele Auftraggeber auf den „Trichter“, es damit zu versuchen, dass sie, wie es dann regelmäßig ausgedrückt wird, Leistungen „herausnehmen“ und teilweise dafür auch die Zustimmung oder Bestätigung des Unternehmers verlangen und mitunter auch bekommen.
Im Recht gilt grundsätzlich, dass es unerheblich ist, wie etwas heißt, und dass es nur darauf ankommt, was etwas tatsächlich ist.
Wenn durch einseitige Erklärung des Auftraggebers eine in Auftrag gegebene Leistung ausdrücklich nicht mehr verlangt wird, dann ist das nichts anderes als eine freie (Teil-) Kündigung mit den beschriebenen Folgen.
Es ist für den Auftraggeber auch nicht möglich, im Vorhinein durch AGB sich das Recht vorzubehalten, Leistungen teilweise frei zu kündigen ohne die Vergütung bezahlen zu müssen: Das verstößt gegen das gesetzliche Leitbild des § 648 BGB.
Sogar dann, wenn die Verringerung des Auftragsumfangs, also die teilweise Nichtausführung von Leistungen, einvernehmlich vereinbart wird, hat der Auftragnehmer das Recht, die vereinbarte Vergütung abzüglich ersparter Aufwendungen zu verlangen (siehe dazu BGH, Urteil vom 6. 20.04.2018 – VII ZR 82/17):
Es kommt darauf an, ob deshalb, weil bestimmte Leistungen sich als nicht mehr erforderlich oder nicht mehr gewünscht herausgestellt haben, eine Verringerung des Leistungsumfangs vereinbart wurde. Ist dies der Fall, dann besteht nach diesem Urteil der Anspruch des Auftragnehmers auf Zahlung der vereinbarten Vergütung abzüglich ersparter Aufwendungen für die nicht erbrachten Leistungen auch dann, wenn die Verringerung des Leistungsumfangs einvernehmlich vereinbart wurde.
Anders ist es, wenn z.B. die Parteien sich im Streit befunden haben und aufgrund der (gegenseitigen) Unzufriedenheit miteinander vereinbart haben, dass der Vertrag zum gegebenen Leistungsstand beendet werden soll.
Bei Vorliegen einer freien Kündigung gelten darüber hinaus folgende Grundsätze:
- Die Leistung des Auftragnehmers muss auch nach Kündigung (auch nach außerordentlicher Kündigung!) abgenommen werden oder ein Abnahmeersatz vorliegen
- bei der Schlussrechnung sind bei bereits teilweise erbrachter Leistung die erbrachten Leistungen und die nicht erbrachten Leistungen voneinander abzugrenzen. Handelt es sich um einen Pauschalvertrag, dann muss der Pauschalvertrag aufgeschlüsselt werden und dargelegt werden, wie der Pauschalpreis für die einzelnen Leistungen zustande gekommen ist. Dann müssen die erbrachten Leistungen erfasst werden und zu den anteiligen Vertragspreisen abgerechnet werden und die nicht erbrachten Leistungen gesondert ausgewiesen werden und für diese die vereinbarte Vergütung abzüglich ersparter Aufwendungen abgerechnet werden
- die ersparten Aufwendungen sind eben genau diejenigen, die der Unternehmer nicht mehr tätigen muss, weil er die Leistung nicht mehr (vollständig) ausführen muss. Personalkosten erspart sich der Unternehmer nur dann, wenn er diese wegen der (Teil –) Kündigung tatsächlich nicht mehr hat (z.B. OLG Celle, Beschluss vom 21.02.2023 – 4 U 4/22). D. h., dass die Vergütung für die nicht erbrachten Leistungen die nicht gedeckten Betriebskosten erfasst und tatsächlich nicht identisch ist mit dem entgangenen Gewinn
- anzurechnende Füllaufträge sind nur solche, welche tatsächlich anstatt des gekündigten Auftrages erledigt werden konnten. Mitunter sind Auftraggeber so vernünftig, dass sie tatsächlich gleich selber einen Ersatzauftrag erteilen und sich damit die beschriebenen Probleme ersparen. Wenn die Kapazität des Unternehmers ausgereicht hat oder ausgereicht hätte, um alle vorhandenen Aufträge und den (teilweise) gekündigten Auftrag parallel auszuführen, dann ist kein anderweitiger Erwerb gegen zu rechnen (auch dazu siehe OLG Celle, Beschluss vom 21.02.2021 – 4 U 4/22.
In jedem Fall muss der vorhandene Leistungsstand festgestellt werden. Das soll nach Möglichkeit gemeinsam geschehen. Der Auftraggeber muss diese Leistungsfeststellung in jedem Fall dulden.
Vereitelt der Auftraggeber eine gemeinsame Leistungsfeststellung, z.B. ein gemeinsames Aufmaß, und sabotiert er geradezu die Versuche des Auftragnehmers, seine Leistung zu dokumentieren, dann tritt Beweislastumkehr ein (siehe dazu KG, Urteil vom 24.09.2021 – 7 U 35/15).