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Antrag auf selbstständiges Beweisverfahren hemmt Verjährungsfrist für alle Mängel bis zum Ende des gesamten Verfahrens!

Mandantenfrage:

Wir haben als Bauherr wegen mehrerer kurz vor Ablauf der Verjährungsrist festgestellter Mängel zur Hemmung der Verjährung ein selbständiges Beweisverfahren eingeleitet. Wann endet die durch das selbständige Beweisverfahren eingetretene Verjährungshemmung bezüglich der verfahrensgegenständlichen, jedoch voneinander unabhängigen Mängel, wenn sich der gerichtlich beauftragte Sachverständige nach dem Hauptgutachten infolge der Ergänzungsfragen nur noch mit einzelnen Mängeln beschäftigt und die Begutachtung durch den Sachverständigen zu den übrigen Mängeln beendet ist?

Beispiel (Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 22. Juni 2013 – VII ZR 881/21, www.bundesgerichtshof.de/Entscheidungen (Sachverhalt vereinfacht):

Der Besteller (Auftraggeber = AG) hatte den Unternehmer (Auftragnehmer = AN) mit Lieferung und Montage von Betonfertigteilen für den Neubau eines Gebäudes beauftragt. Die Verjährungsfrist für Mängelansprüche war wirksam mit 4 Jahren vereinbart (§ 13 Nr. 4 VOB/B damalige Fassung 2002; vgl. jetzt § 13 Abs. 4 VOB/B 2016). Die Abnahme erfolgte am 14. Dezember 2006. Mit Antrag auf selbständiges Beweisverfahren vom 1. Dezember 2010 (am gleichen Tage beim zuständigen Landgericht [LG] eingereicht und dem AN am 21. Dezember 2010 zugestellt) behauptete der AG zwei voneinander unabhängige Mangelerscheinungen in den Leistungen des AN: Risse an Attika-Betonfertigteilen („Mangel 1“) und Durchbiegungen an Beton-Fensterlamellen in der Betonfertigteilfassade („Mangel 2“). Nachdem das LG einen entsprechenden Beweisbeschluss erlassen und den Sachverständigen (SV) mit der Begutachtung beauftragt hatte, bestätigte der SV beide Mängel in seinem (Haupt-)Gutachten vom Frühjahr 2013. Innerhalb der vom LG bis zum 19. April 2013 gesetzten Stellungnahmefrist stellte der AG ergänzende Fragen und Anträge lediglich zu Mangel 2; zu Mangel 1 nahmen weder der AG noch der AN Stellung. Nach einem Ergänzungsgutachten des SV zu Mangel 2 endete die letzte vom LG gesetzte Stellungnahmefrist mit Ablauf des 23. März 2015.

Mit am 26. Juni 2015 eingereichter Klage macht der AG Ansprüche sowohl wegen des Mangels 1 als auch wegen des Mangels 2 geltend.

Der AN erhebt gegenüber den vom AG behaupteten Ansprüchen zu Mangel 1 die Einrede der Verjährung. Zu Recht?

Expertenantwort:

Angesichts der Abnahme vom 14. Dezember 2006 lief die 4-jährige Verjährungsfrist für Mängel an den abgenommenen Leistungen bis zum Ablauf des 14. Dezember 2010 (§§ 13 Nr. 4 Abs. 1, 3 VOB/B [2002], 188 Abs. 2 BGB).

Diese Frist wurde rechtzeitig durch den am 1. Dezember 2010 beim LG eingereichten Antrag auf selbständiges Beweisverfahren gehemmt (§ 204 Abs. 1 Nr. 7 BGB). Die nach dem Wortlaut von § 204 Abs. 1 Nr. 7 BGB maßgebliche Zustellung des Antrages durch das LG beim AN erfolgte zwar erst am 21. Dezember 2010, also nach dem 14. Dezember 2010. Wenn jedoch – wie hier – die Zustellung an den AN „demnächst“ erfolgt ist (und nicht etwa durch vom Antragsteller zu vertretende Fehler [z.B. Angabe einer falschen Anschrift des Antragsgegners] verzögert wurde), tritt gemäß § 167 ZPO die Wirkung der Zustellung bereits mit dem Eingang des Antrages bei Gericht ein.

Gemäß § 204 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 BGB endet die Hemmung der Verjährung „sechs Monate nach der … anderweitigen Erledigung des eingeleiteten Verfahrens.“.

„Ein selbständiges Beweisverfahren ist grundsätzlich mit der sachlichen Erledigung der beantragten Beweissicherung anderweitig beendet im Sinne von § 204 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 BGB (st. Rspr.; …). Erfolgt die Beweiserhebung durch ein schriftliches Sachverständigengutachten, ist dies mit dessen Übersendung an die Parteien der Fall, wenn weder das Gericht nach § 492 Abs. 1, § 411 Abs. 4 Satz 2 ZPO eine Frist zur Stellungnahme gesetzt hat noch die Parteien innerhalb eines angemessenen Zeitraums Einwendungen dagegen oder das Gutachten betreffende Anträge oder Ergänzungsfragen mitteilen (…). Läuft eine vom Gericht gesetzte Frist zur Stellungnahme ab, ohne dass die Parteien hiervon Gebrauch machen, endet das Verfahren grundsätzlich mit deren Ablauf.“ (BGH vom 23. Juni 2023, Rn 22); Hervorhebung vom Unterfertigten).

Bis zum Urteil des BGH vom 22. Juni 2013 ging die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur (Nachweise aaO Rn 23) davon aus, dass diese „sachliche Erledigung“ für jede einzelne Mangelbehauptung gesondert eintrete.

Hinsichtlich des Mangels 1 wäre nach somit nach der bislang herrschenden Meinung die sachliche Erledigung mit Ablauf des 19. April 2013 eingetreten und die Verjährungshemmung hätte 6 Monaten danach, also mit Ablauf des 19. September 2013 geendet. Nach dieser Verjährungshemmung wäre der Rest der ursprünglich bis 14. Dezember 2010 laufenden, aber vom 1. Dezember 2010 bis zum 19. September 2013 gehemmten Verjährungsfrist weitergelaufen. Dieser Rest hätte noch 13 Tage betragen (2. Dezember bis 14. Dezember 2010, vgl. § 187 Abs. 1 BGB). Verjährung hinsichtlich des Mangels 1 wäre also mit Ablauf des 2. Oktober 2013 eingetreten. Die Klage vom 26. Juni 2015 hätte nichts mehr daran ändern können. Die auf Mangel 1 bezogenen Ansprüche wären verjährt.

Diese (auf ein Urteil des BGH vom 3. Dezember 1992 – VII ZR 86/92 -, z.B. BGHZ 120, 329 zurück gehende) Rechtsprechung hat der BGH im Urteil vom 22. Juni 2023 – im Ergebnis wie die Vorinstanz OLG Stuttgart – ausdrücklich aufgegeben und nun entschieden:

„Entscheidend für die Beurteilung der sachlichen Erledigung ist dabei grundsätzlich das Ende der gesamten Beweisaufnahme. Das gilt unabhängig davon, ob in einem selbständigen Beweisverfahren die Sicherung des Beweises hinsichtlich nur eines Mangels oder mehrerer – auch voneinander unabhängiger – Mängel stattfindet und auch ohne Rücksicht darauf, ob diese durch einen oder mehrere Sachverständige erfolgt.“ (BGH vom 22 Juni 2023 Rn 23 und ff.); Unterstreichung vom Unterfertigten.

Zur Begründung hebt der BGH zunächst einmal auf den oben zitierten Wortlaut von § 204 Abs. 1 Satz 1 BGB ab: Dort ist von der „Erledigung des eingeleiteten Verfahrens“ die Rede (nicht von der Erledigung der Beweiserhebung zu einer Mangelbehauptung). Er weist ferner nach, dass diese Auslegung auch dem Willen des Gesetzgebers und dem Sinn und Zweck von § 204 BGB sowie des selbständigen Beweisverfahrens entspricht und hebt hervor, dass für diese Auslegung auch prozessökonomische Gründe sprechen.

Handlungsempfehlung:

Das Urteil des BGH vom 22. Juni 2023 führt zu ganz erheblichen Erleichterungen im Umgang mit der Verjährung und ihrer Verhinderung. Selbständige Beweisverfahren mit einer Vielzahl zu begutachtender Mangelbehauptungen sind keine Seltenheit. Während bisher die Erledigung der Beweiserhebung und das Ende der Verjährungshemmung für jede einzelne Mangelbehauptung unter Kontrolle gehalten und hierfür jeweils neue Maßnahmen zur Vermeidung des Verjährungseintritts ergriffen werden mussten, kann nun insgesamt auf das Ende des gesamten Verfahrens abgestellt werden.

Gleichwohl ist im Umgang mit Verjährungsfristen von Mängelansprüchen – insbesondere auch, wenn diese durch Bürgschaften gesichert sind, für welche eigene Verjährungsregeln gelten (!) – große Sorgfalt geboten. Auch wenn in selbständigen Beweisverfahren kein Anwaltszwang besteht, empfiehlt sich, auch in diesen Verfahren die Hilfe von Baurechtsanwälten in Anspruch zu nehmen.

Dr. Thomas Schwamb
SFR SCHWAMB FISCHER OSWALD RECHTSANWÄLTE PartGmbB, München

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