Umgangssprachlich wird in Deutschland eine Rechtsanwältin oder ein Rechtsanwalt, die sich im weitesten Sinne vertieft mit „dem Bauen“ beschäftigen, als „Bauanwältin“ / „Baujuristin“ bzw. als „Bauanwalt“ / „Baujurist“ bezeichnet. Diese generalisierenden Bezeichnungen täuschen jedoch im Regelfall Spezialkenntnisse vor, die zwar in diesem Umfange vorhanden sein können, im Regelfall aber nicht vorhanden sind. Denn die jeweilige Komplexheit und Kompliziertheit der speziellen Baumaterie lassen eine dauerhafte und umfassende Adaption der ständig neuen Gesetze, Verordnungen, Gerichtsurteile und Fachliteratur im Normalfall nicht zu. Diese Erkenntnis spiegelt sich alleine schon in den unterschiedlichen Fachanwaltsbezeichnungen wieder, die nach der Fachanwaltsordnung (Stand 2016) (BRAK -Mitt. 2015, 287f) alleine für den „Baubereich“ verliehen werden können: „Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht“, „Fachanwalt für Vergaberecht“ und „Fachanwalt für Verwaltungsrecht“ gem. § 1 FAO iVm § 43 c Abs.2, Satz 2 BRAO. Hinzu kommt ein weiterer Titel, der eng mit dem Bauen zusammen hängt: Der Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht. Und schließlich darf auch der im Zusammenhang mit Bauunternehmen häufig in Erscheinung tretende Fachanwalt für Insolvenzrecht nicht unbeachtet bleiben, vom Fachanwalt für Internationales Wirtschaftsrecht bei grenzüberschreitenden Bauvorhaben ganz abgesehen. Hinzu kommt der „Fachanwalt für Arbeitsrecht“, der häufig mit Bauarbeitsrecht als besonderer Rechtsmaterie konfrontiert wird, und der „Fachanwalt für Strafrecht“, der oft bei Baustrafsachen eingeschaltet wird. Zudem ist auch der „Fachanwalt für Versicherungsrecht“ gerade bei großen Versicherungsschäden, die im Zusammenhang mit Baumängeln und – schäden entstehen können, sehr gefragt. Gleiches gilt für den „Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht“, der insb. bei Urheberrechtsverletzungen, die von Architekten geltend gemacht werden, zum Einsatz kommt.
Alleine diese Vielzahl von Spezialgebieten, die mit dem Bauen zusammenhängen, zeigt die Notwendigkeit der absoluten Spezialisierung, zumal bei den im Regelfall hohen Streitwerten und existentiell oft sehr bedeutenden Rechtsstreitigkeiten, auf. Den „Allrounder“ kann es daher für die Baumaterie nicht geben und auch nicht den universal geschulten und erfahrenen „Bauanwalt“. Dies erhellt mit Blick auf die großen Streitkomplexe, die jeweils zur kompetenten Behandlung erfahrene und spezialisierte Juristen, die im Regelfall auch technisches Grundverständnis haben müssen, voraussetzen. Die Streitkomplexe können wie folgt unterteilt werden:
– Bauvertragsrecht nach BGB und VOB
– Architektenrecht und Ingenieursrecht
– Vergaberecht
– Öffentliches Baurecht (Bauleitplanung, Baugenehmigung, Naturschutz, etc.)
– Bau-Denkmalrecht
– Bau-Arbeitsrecht
– Bau-Strafrecht
– Bau-Versicherungsrecht
– Bau-Insolvenzrecht
– Bau-Urheberrecht
– Bau-Schadens- und Verkehrssicherungsrecht
– Baugrund- und Tiefbaurecht mit dem Recht der Sparten
– Kampfmittelrecht
– Baulärm-Recht
– Internationales Baurecht
Der Bausuchdienst versucht mit seinen Hinweisen auf Spezialisten hier Hilfestellung zu geben. Wobei die Erfahrung lehrt, dass die Einschaltung von speziell erfahrenen Baujuristen im Regelfall sehr hilfreich ist. Zumal dadurch auch aussichtslose Fälle ausgefiltert werden können.
Fazit: Die „Bauanwältin“ oder der „Bauanwalt“ (bzw. Baujuristin / Baujurist) sind im Regelfall keine „Bau-Alleskönner“, sondern auf dem weiten „Bau-Streit-Feld“ meist nur partiell kompetent. Sie zeichnen sich aber dadurch aus, dass komplizierte Fälle unter Beiziehung von Fachexperten, die z.B. Rechtsgutachten erstellen, betreut werden. Und der verständige Mandant wird dies nicht als Schwäche, sondern vielmehr als besondere Stärke zu würdigen wissen. Dies lehrt ebenso die Erfahrung!
Prof. Dr. jur. Klaus Englert, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, München
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